Ich war drei Jahre alt, als ich auf unserem Hof zur Abenddämmerung über eine Leiter gestolpert bin, die ich nicht gesehen hatte. In diesem Moment ist es meinem Vater das erste Mal aufgefallen, dass mit meinen Augen vielleicht etwas nicht stimmt. Mit der Diagnose „Uveitis“ bestätigte sich wenige Zeit später in der Uniklinik Jena die Vermutung in aller Deutlichkeit. Hierbei handelt es sich um Entzündungsprozesse im Auge, die bei mir, neben der Netzhaut, auch den Sehnerv auf beiden Seiten betroffen hatte. Auch wenn sich mein damaliges Sehvermögen von 10 % wenig anhört, war es genug, um die Welt in all ihren Farben sehen zu dürfen. Nachdem das „Feuer“ einige Jahre später, in beiden Augen, letztendlich in der Charité Berlin gelöscht werden konnte, verblieb mir etwa bis zu meinem 18. Lebensjahr ein Sehvermögen von ca. 5 %. Dies reichte noch für selbstständiges Fahrradfahren auf dem Land, Alpinski ohne Guide auf einer bekannten Piste oder zum visuellen Zeit verplempern vor dem Fernseher. Aufgrund der abgelaufenen Entzündungsprozesse und den damit verbundenen Vernarbungen waren die verbliebenen Sehzellen jedoch einer ständigen Unterversorgung ausgesetzt, was zu einem zunehmenden Kontrastverlust des Sehens zwischen meinem 20. und 30. Lebensjahr führte. Daran konnten auch zwei Operationen nichts mehr ändern. Der so erreichte Ist-Zustand hat somit nichts mit absoluter Dunkelheit zu tun, was gern mit dem Begriff „Blindheit“ grundsätzlich in Verbindung gebracht wird. Der Vergleich mit dem Sehen durch eine diffuse Milchglasscheibe trifft es passender.
Aufgrund meines Handicaps besuchte ich die ersten zweieinhalb Jahre die Blinden- und Sehbehindertenschule in Halle. Was mit einem Internatsaufenthalt von Montag bis Freitag verbunden war. Nicht nur aus diesem Grund versuchten wir zum Halbjahr der dritten Klasse das Experiment „Integration in Sieglitz“. Mit einem sogenannten Bildschirmlesegerät vor Ort und der Unterstützung der damaligen Lehrer zeigte sich der Versuch schnell als voller Erfolg! Somit war der Startschuss für meinen weiteren Bildungsweg gegeben. Nach meinem Regelschulabschluss in Camburg erfolgte die Ausbildung zum Masseur in der medizinischen Fachschule in Bad Sulza. Im dazugehörigen halbjährigen Anerkennungspraktikum im MEDIFIT Jena lernte ich die Physiotherapeutin Doreen Seidel kennen, mit der ich reichlich 10 Jahre später die Physio-Vision Sieglitz eröffnen sollte. Mit meinem ersten medizinischen Abschluss arbeitete ich anschließend zunächst acht Monate in der Saale Rehaklinik 2 in Bad Kösen. In dieser Zeit absolvierte ich die vierwöchige Weiterbildung zur manuellen Lymphdrainage. Es sollte das letzte Mal sein, dass ich zertifiziertes Fachwissen über meine Augen in den Kopf aufnehmen konnte. In jenem heißen Sommer ist mir der schleichende Kontrastverlust meines Sehens das erste Mal bewusst aufgefallen, als ich zum gewohnten Feierabendspaziergang am helllichten Tag in Richtung Ortsausgang den Unterschied zwischen Fußweg und Rasen visuell nicht mehr wahrnehmen konnte.
Aufgrund geringer Klinikauslastung endete mein befristeter Arbeitsvertrag in Bad Kösen vorzeitig Ende 2003. Anschließend setzte ich meine berufliche Reise Richtung Physio-Vision Sieglitz nahtlos in Jena fort. Im dortigen Therapiezentrum, direkt neben der Goethe Galerie, blieb ich fast 8 Jahre. Unter den zahlreichen Kollegen arbeitete ich mit dem Physiotherapeuten und Fachlehrer für Manuelle Therapie Thomas Brucha zusammen – einem alten Bekannten, den ich heute mit gutem Recht als wertvollen Freund und therapeutischen Ziehvater bezeichnen kann. Ein Großteil des Physiotherapeuten, der ich heute bin, wurde ich durch ihn. Nicht nur, da er 2007 zu mir meinte, dass die gut zweijährige Weiterbildung zum Manuellen Therapeuten jetzt auch für Masseure möglich sei. So kam es, dass ich einmal im Quartal, mit ihm zusammen, für vier Tage nach Nordhausen gefahren bin, um dort die Kunst des Mobilisierens zu erlernen. Das theoretische Pauken erfolgte zu jener Zeit das erste Mal allein über meine Ohren, was mit meinem absolvierten Schreibmaschinenkurs in der sechsten Klasse und einem Sprachprogramm auf dem Laptop super funktionierte. Da die Gemütlichkeit in meiner WG in Jena zunehmend verloren gegangen ist und die Festscheune Sieglitz mehr und mehr an Fahrt aufgenommen hat, wechselte ich im September 2011 in eine Praxis nach Naumburg. Der damals unglückliche Umstand, dass die Krankenkassen in Sachsen-Anhalt mein Zertifikat der Manuellen Therapie nicht anerkennen wollten, da ich „nur“ Masseur gewesen bin, löste den entscheidenden Richtungswechsel aus, der mich zu meiner Physio-Vision brachte. Mein damaliger Chef setzte sich dafür ein, dass ich im September 2012 den 18-monatigen Aufbaukurs zum Physiotherapeuten in Bad Sulza beginnen konnte. Aufgrund der erneuten schulischen Wegstrecke wollte ich nun umgehend die Selbstständigkeit als oberstes Ziel. So haben wir schon während dieser Ausbildung im April 2013 mit dem Ausbau unserer verbleibenden Scheunenfläche zur Physio-Vision begonnen.
Nach gut einem halben Jahr Bauzeit war das „Haus im Haus“ mit zunächst drei Behandlungsräumen fertiggestellt, sodass wir unsere Physio-Vision am 31. Oktober 2013, noch während meiner Schulzeit, eröffnen konnten. Dies erfolgte zunächst zusammen mit meiner alten Bekannten und guten Freundin, der Physiotherapeutin Doreen aus Jena. Ein knappes Jahr später waren wir mit Katja dann schon zu dritt! Auch sie kannte ich zu diesem Zeitpunkt schon über 20 Jahre, da ich gemeinsam mit ihr den Kurs zur manuellen Lymphdrainage belegte. Als Nächstes wurde unser Team durch Janine erweitert, bevor Doreen zunehmend an einem, wie sie heute meint, „Björn-Out“ gelitten hat und aus diesem Grund die Physio-Vision im Jahr 2016 wieder verließ. Zum Glück ist mir mit Silke, einer ehemaligen Fachlehrerin für Physiotherapie, ein lückenloser Neuzugang geglückt, um dem schon damals sehr hohen Patientenaufkommen weiterhin auf therapeutisch hochwertigem Niveau gerecht werden zu können. Ebenso wurde in dieser Zeit die Praxisfläche mit dem Wintergarten das erste Mal erweitert. Aufgrund eines immer weiter steigenden Verwaltungsaufwandes ergänzte wenige Zeit später Frances unser Team und übernahm zunehmend die Organisation unserer Physiotherapie. In dieser Konstellation arbeiteten wir fast vier Jahre zusammen, bevor unser Team zunächst mit Anja und dann einige Zeit später durch Nadine komplettiert wurde. Außerdem ist mit unserem Kaminzimmer die Praxisfläche noch einmal gestiegen. Nun ist es, glaube ich, nicht vermessen, das hier entstandene aus vielerlei Hinsicht als Physio-Vision bezeichnen zu dürfen. Wir können neben unserem besonderen Ambiente ein Team mit einer außergewöhnlich hohen Weiterbildungsdichte vorweisen, welches sich durch unsere professionelle Praxismanagerin nahezu ausschließlich um die Anliegen seiner Patienten kümmern kann.
Ich bin glücklich mit meinem Weg zur Physio-Vision. Zum einen ist sie in der Lage, Menschen zu helfen. Und da ich selbst zusammen mit meinen Eltern 25 Jahre auf der Suche nach Hilfe war, weiß ich, was dies bedeutet. Außerdem hat sie es geschafft, sieben Menschen einen coolen Arbeitsplatz zu geben, mit einem großartigen „wir“-Gefühl untereinander. Zudem gibt sie mir mit meinem Handicap jeden Tag die Möglichkeit, das Beste aus mir herauszuholen und noch dazu, ich selbst sein zu dürfen. So kann ich erfahren, dass es nicht ganz sinnlos war, meinen Sehsinn verloren zu haben. Dennoch bitte ich darum, blinde Menschen wie mich, die ihr Leben auf die Reihe bekommen haben, nicht im besonderen Maße zu bewundern. Denn, solange unser Kopf sein Potenzial erkennt, ist im Leben vieles möglich!
Physio-Vision
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